Für die Nahverkehrsplanung der Kreise und kreisfreien Städte besteht zunehmend die Notwendigkeit der zeitnahen und sachgerechten Vorbereitung auf sich verändernde Rahmenbedingungen im ÖPNV-Markt. Vor diesem Hintergrund schafft die Zusammenfassung von Linien zu Linienbündeln die Voraussetzung für eine wirtschaftliche, kundengerechte und betrieblich sinnvolle Verkehrsgestaltung sowohl im Hinblick auf die derzeit geübte Organisations- und Finanzierungspraxis im ÖPNV als auch im Hinblick auf die Vergabe von Nahverkehren im Wege der Ausschreibung. Besonders markante Fälle der vergangenen Monate (konkurrenzierende Konzessionsanträge zweier Wettbewerber für eine Buslinie) belegen, dass auch auf der Grundlage des bestehenden Ordnungsrahmens des ÖPNV Handlungsbedarf zur Linienbündelung besteht.
Zur Erstellung eines Linienbündelungskonzepts sind die vielfältigen Möglichkeiten, Netze oder Teilnetze zu definieren, systematisch zu untersuchen. Weder aus wirtschaftlicher Sicht noch aus Gründen der Verkehrsintegration lässt sich die Größe der zu bildenden Linienbündel eindeutig bestimmen. Vielmehr ist ein Abwägungsprozess zwischen den im folgenden Bild dargestellten Grundsätzen und Kriterien vor dem Hintergrund der konkreten Situation eines Raumes durchzuführen.
Bilden verkehrlicher Einheiten („Netz”)
- Integrierte Verkehrsbedienung von Teilräumen stärken
- Funktionalen Zusammenhang von Netzen (z. B. Stadtbus) erhalten
- Anschlussbeziehungen und Anschlusssicherungen in Teilräumen erwirken
- Weiterentwicklung des Angebots offen halten
Bilden betrieblicher Einheiten („Betrieb”)
- Synergien bei der Fahrzeug- und Personaleinsatzplanung nutzen
- Lage der vorhandenen betrieblichen Einrichtungen beachten
- Lage der Schulstandorte berücksichtigen
Bilden wirtschaftlicher Einheiten („Wirtschaftlichkeit”)
- Rückzug auf ertragsstarke Linien („Rosinenpickerei”) vermeiden
- Wirtschaftlichen Querausgleich zwischen Linien schaffen
- Ertragsstarke und ertragsschwache Linien kombinieren
- Ertragslage hinsichtlich Ausbildungsverkehren sichern (§45a PBefG)
Berücksichtigen mittelständischer Interessen („Wettbewerb”)
- Sehr große Linienbündel vermeiden (langfristig wettbewerbsbehindernd)
- Auch kleinere Einheiten bilden (mittelständische Unternehmen)
Grundsätze und Kriterien der Linienbündelung
Das im Kreis Soest angewendete verkehrswirtschaftliche Verfahren zur Ermittlung einer optimalen Linienbündelung (Netzaufteilung) basiert auf einem iterativen Verfahrensansatz auf der Grundlage einer Verkehrserhebung mit Erkenntnissen zur Fahrausweisnutzung und zum Reiseweg der Fahrgäste:
Schritt 1: Bündelungsvarianten bilden
Zunächst werden grundlegende Bündelungsvarianten abgeleitet, wobei jede Variante eine bestimmte Strategie zur Zusammenfassung von Linien verfolgt (z. B. Korridornetz, Nord- und Süd-Netz). Besondere Bedeutung haben dabei Strategien, die die betrieblichen Zusammenhänge von Linien berücksichtigen (z. B. Korridornetz)
Schritt 2: Kenngrößen ermitteln
Die Kenngrößen für jede einzelne Linie, auf deren Grundlage sich Aussagen zur Wirtschaftlichkeit eines Linienbündels treffen lassen, werden in einer Datenbank zusammengefasst, u.a.
- Nachfrage je Linie (Beförderungsfälle als Ein-/Aussteiger, Verkehrsleistung)
- Betriebsleistung je Linie (z. B. Fahrplanstunden pro Tag)
- Kosten je Linie (z.B. auf der Grundlage von pauschalen Stundensätzen für verschiedene Linientypen)
- Erlöse je Linie (Ertrag aus Fahrgeldeinnahmen und Ausgleichsbeträgen je Beförderungsfall, ggf. Näherungswerte)
Schritt 3: Bewertung durchführen
Die Aggregation der Kenngrößen je Teilnetz (Fahrplanstunden und Kostendeckungsgrad) ermöglicht den Vergleich und die Abwägung von Varianten. Im Fall ungünstiger Bündelzuschnitte wird ein Neuzuschnitt von Bündeln erwogen (Schritt 1).
Schritt 4: Ergebnis ableiten
Aus diesem iterativen Prozess folgt schließlich der Vorschlag einer geeigneten Linienbündelung als Ergebnis der Betrachtung.
Am Beispiel des Kreises Soest führt das Verfahren zu 8 an „ÖPNV-Korridoren” orientierten Linienbündeln (vgl. folgende Prinzipskizze) mit einem Betriebsleistungsvolumen zwischen 70 und 150 Wagenstunden pro Werktag, was einem Fahrzeugbedarf zwischen 9 und 23 Fahrzeugen entspricht.
Vereinzelt wird in der Fachöffentlichkeit der Einsatz mathematisch-kombinatorischer Verfahren zur Entwicklung optimaler Linienbündel vorgeschlagen, d.h. Nutzung von Rechenprogrammen, wie sie in der rechnergestützten Fahr- und Dienstplanung eingesetzt werden. Dies ist jedoch im Zuge der Linienbündelung nicht unbedingt sinnvoll und zwar aus folgenden Gründen:
- In ländlich strukturierten Räumen bestimmen vielfach mehrere Anbieter (z. B. kommunales Regionalverkehrsunternehmen sowie DB-Tochter) das Angebot eines Gesamtraums (z. B. Kreis). Die in der Regel als Umlaufoptimierung zur Feststellung des erforderlichen Fahrzeugbedarfs durchgeführte Optimierungsrechnung nutzt den zzt. vorliegenden Fahrplan. Dieser setzt sich jedoch i.d.R. aus den Angebotsbestandteilen verschiedener Unternehmen zusammen, deren Angebot wiederum fahr-, dienst- und umlaufplantechnisch über ihren gesamten Bedienungsraum als optimiert anzusehen ist. Da die „Bedienungsgrenzen” zwischen den Verkehrsunternehmen durch die Linienbündelung aufgebrochen werden, wird ein fahr-, dienst- und umlaufplantechnisch suboptimaler Angebotszustand innerhalb des entstehenden Linienbündels zur Optimierungsrechnung genutzt.
- Die Optimierungsberechnungen beziehen sich notwendigerweise auf den Fahrplan des „status quo”. Linienbündel werden jedoch i.d.R für die Zukunft entwickelt. Die bis dahin eintretenden Angebotsentwicklungen können nicht antizipiert werden und sind im Regelfall deutlich größer als das Optimierungspotenzial durch die Linienbündelung.
- In städtisch geprägten Räumen ist die Angebotsdichte so groß, dass ein Optimierungspotenzial durch die Linienbündelung gegen 0 geht.
Der von IVV im Kreis Soest verwendete verkehrswirtschaftlich orientierte Ansatz vernachlässigt bewusst das Potenzial einer nur bedingt nachweisbaren Umlaufoptimierung durch die Zusammenfassung von Linien zu Bündeln. Dies hat den Vorteil, dass die Kosten für die Aufstellung eines Linienbündelungskonzepts - gerade vor dem Hintergrund der Reduzierung der Regionalisierungspauschale für Aufgabenträger in NRW - deutlich geringer ausfallen und vorhandene Verkehrserhebungen synergetisch genutzt werden.
Linienbündelungskonzepte gehen einher mit einer Harmonisierung der Konzessionslaufzeiten. Damit schützt sich der Aufgabenträger u.a. vor konkurrenzierenden Konzessionsanträgen verschiedener Wettbewerber („Rosinenpickerei”) und bereitet sich gleichzeitig auf den möglichen Wettbewerb (Ausschreibung von Linienbündeln) vor. Abhängig von der Entwicklung des EU-Rechtsrahmens bleibt auch der sog. „Genehmigungswettbewerb” möglich unter Beachtung der hierfür vom EuGH formulierten Kritieren. Eine geschickte zeitliche Staffelung der Konzessionslaufzeiten je Linienbündel erleichtert dem Aufgabenträger die Vergabe und schützt die vorhandenen Verkehrsunternehmen vor möglicherweise ruinösen Entwicklungen (d.h. Verlust großer Teile des Bedienungsgebiets zu einem Zeitpunkt).
9. Februar 2004