Weiterentwicklung der Verbundtarife in Zusammenhang mit dem Deutschlandticket (D-Ticket)

Zum 1. Mai 2023 wird für ganz Deutschland das Deutschlandticket (D-Ticket) als monatlich kündbarer Abo-Fahrausweis zum Monatspreis von 49 € eingeführt. Dieses Ticket wird in allen öffentlichen Nahverkehrsmitteln in Deutschland als Fahrtberechtigung anerkannt.

Das Deutschlandticket substituiert nahezu alle Zeitkarten der Verbundtarife, da deren Preisniveau heute regelmäßig höher ist als der Preis des Deutschlandtickets. Dies gilt in noch stärkerem Maße für Landestarife oder den Deutschlandtarif wegen ihrer höheren Reiseweiten. Die Bestandsprodukte im Zeitkartensegment verlieren damit ihre Bedeutung innerhalb der Produktpalette und können – sofern Finanzierungshintergründe dem nicht entgegenstehen – aus der Produktpalette gestrichen werden.

Die Wirkungen betreffen auch Zeitkartengebote für geschlossene Nutzergruppen wie z. B. solidarische Job-Tickets, Semestertickets oder Schülertickets, wobei diese vielfach bereits wegen ihrer möglicherweise massiven Auswirkungen auf die ÖPNV-Grundfinanzierung auf der Ebene der Bundesländer diskutiert werden.

Der Absatz weiterer Produkte bricht stark ein, woraus die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Vertriebsaufwands für Produkte mit geringen Verkaufszahlen erwächst. Dies wird z. B. Wochenkarten oder Anschlussfahrausweise zu vorhandenen Zeitkarten betreffen.

Vor dem Hintergrund des Deutschlandtickets werden auch im Bartarif Bestandsprodukte wie z.B. Einzel-, Mehrfahrten- oder Tagestickets auf Grundlage des bestehenden Preisniveaus schwerer durchsetzbar sein. Dies betrifft auch hier besonders Tarife mit langen Reiseweiten. Beispielsweise entspricht der Preis einer Einzelfahrt 2. Klasse im NRW-Tarif über 229 km etwa dem Preis des Deutschlandtickets pro Monat. Für diese Fahrausweise sind deutliche Nachfragerückgange zu erwarten, es verbleibt aber eine signifikante Nachfrage nach diesen Produkten. Ein Beispiel hierfür sind Tagestickets, die von Besuchern und Seltennutzern weiterhin nachgefragt werden. Produkte im Bartarif müssen allein schon deshalb weiterhin vorgehalten werden, weil sie allen Kundinnen und Kunden, die mit dem ÖPNV fahren wollen, den Systemzugang ermöglichen.

Die Wirkungen der Kundenreaktionen auf die Bestandsprodukte sind aktuell nur theoretisch ableitbar, da die außergewöhnliche Preisstellung zwischen dem Deutschlandticket und den Bestandstarifen ein Novum in der Tarifentwicklung darstellt. Die Kundenreaktionen werden erst nach Einführung des Deutschlandtickets empirisch messbar. Analogien zum 9-Euro-Ticket sind hier aufgrund der noch viel größeren Preisdifferenz nicht sinnvoll anwendbar. Auch sind die Kenntnisse zur Wirkung von Zusatznutzen (z. B. Übertragbarkeit von Zeitkarten) kaum übertragbar, weil der Nutzen des D-Tickets (deutschlandweit gültig, günstiger Preis) kaum mit Bestandsprodukten, die z. B. Übertragbarkeit oder Mitnahme weiterer Personen umfassen, verglichen werden kann.

Mit dem Ziel einer transparenten und marktgerechten Fahrausweispalette sind Bereinigungen um nicht mehr nachgefragte Bestandsprodukte sowie die fallweise Schaffung von Ersatzprodukten für Kunden, deren Nutzung nicht durch das Deutschlandticket abgedeckt wird, vorzunehmen:

  • Welche Bestandsprodukte werden durch das D-Ticket wirklich vollständig substituiert?
  • Gibt es Alternativen für die Bepreisung von Einzelfahrten bzw. Hin- und Rückfahrten bzw. auch Fahrten an einem Tag, die zu einer Verschlankung der Ticketpalette und damit auch des Vertriebs beitragen können?
  • Trifft ein Monatskartenprodukt, das den typischen Zusatznutzen bei Verbundzeitkarten beinhaltet (u.a. Mitnahme weiterer Person oder Übertragbarkeit) auf ein Marktpotenzial beispielsweise bei Familien oder Wohngemeinschaften, für die die Nutzung des Zeittickets durch mehrere Personen ein wichtiges Feature ist?

Der Umbau der Produktpalette sollte daher

  • Auf ein frühzeitiges Erkennen und Verstehen der Prozesse setzen, die durch das D-Ticket ausgelöst werden,
  • nicht überstürzt erfolgen: der Zeitraum bis zur Einführung des D-Tickets ist viel zu kurz, um eine derart umfassende Tarifveränderung mit ausreichender Sorgfalt vorzubereiten und die erforderliche Beschlussfassung hierfür zu erreichen,
  • bereits jetzt mit Überlegungen starten, um erste Skizzen und Ideen zum Umbau der Produktpalette zu entwickeln und interne Diskussionen über mögliche Optionen innerhalb der jeweiligen Tariforganisation zu führen,
  • den Zeitraum des parallelen Angebots von D-Ticket und Bestandstarifen gezielt nutzen, um ein vertieftes Monitoring der Entwicklung des Bestandstarifs zu erreichen und Wirkungen unmittelbar aus den Verkaufsdaten für die weitere Planung abzuleiten.

Die Ingenieurgruppe IVV unterstützt den NRW-Tarif sowie weitere große und mittlere Verbünde in diesem Prozess durch Konzeptentwicklungen und Wirkungsberechnungen.

Weiterführende Informationen zum Deutschlandticket finden Sie hier.

17. Februar 2023

 
 
Ansprechpartner bei IVV

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